07. December 2010 Thomas Dudzak

WikiLeaks: Wir brauchen den Verrat

Quelle: Screenshot wikileaks.ch

Quelle: Screenshot wikileaks.ch

Whistleblowing, auf Deutsch in etwa "die Pfeife blasen", nennt man ein Phänomen, welches in Deutschland derzeit in aller Munde ist. Whistleblower, das sind Menschen, die sich mit Hinweisen an die Öffentlichkeit wenden, um auf Missstände und Gefahren aufmerksam zu machen. Teils unter hohem eigenem Risiko und mit Gefahr für die eigene Karriere und Existenz. Für die einen sind sie Helden, für die anderen einfach nur Verräter.

Whistleblowing, der Geheimnisverrat, steht im Fokus der öffentlichen Diskussion seit die Plattform WikiLeaks angekündigt hat, über 250.000 interne Dokumente aus der Welt der US-Diplomatie veröffentlichen zu wollen. Bereits rund 800 davon hat die Plattform in den vergangenen Tagen ins Netz gestellt. Und was darin zu lesen ist, kann keinem politischen Verantwortungsträger gefallen: Tiefe Einblicke in die Bewertung internationaler Konfliktsituationen, offene Worte zu Ministern und Staatenlenkern und natürlich auch das Auftauchen des ein oder anderen Maulwurfs. Die Depeschen, die niemals das Licht der Öffentlichkeit erreichen sollten, haben die Welt aufgerüttelt.

Wikileaks – Gefährdung der Demokratie?

Natürlich war das Echo der Politik erwartbar: Teilweise war von einer Gefährdung der Demokratie im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Dokumente die Rede. Und natürlich: Die Dokumente, die im Vertrauen darauf geschrieben worden, nie öffentlich zu werden, die in einer beeindruckenden Offenheit berichten und bewerten, sind eine wahre Belastung für die Internationalen Beziehungen. Nicht nur die Verletzung persönlicher Befindlichkeiten sind dabei entscheidend, auch die offene Kommunikation von möglichen Gefahreneinschätzungen und vieles mehr.

Aber gefährdet Wikileaks wirklich die Demokratie? Die Antwort darauf ist ein klares Nein. WikiLeaks basiert auf dem Gedanken der Informationsasymmetrie zwischen einem Staat und seinen Bürgern. Während der Staat auf der einen Seite alles dafür tut, seine Bürger so gut wie möglich zu überwachen, versucht er gleichzeitig, so viele eigene Informationen wie möglich geheim zu halten. Nur folgerichtig ist demnach, dieses System durch die systematische Veröffentlichung vertraulicher und geheimer staatlicher Informationen zu unterlaufen.

Und natürlich wäre der Weltöffentlichkeit ohne WikiLeaks einiges vermutlich für immer verborgen geblieben: Egal ob Umweltverschmutzung an der Elfenbeinküste, bilaterale Geheimverträge zur Weitergabe von Bankdaten, Einblicke in die Welt von Scientology oder Teile der geheimen Toll-Collect-Verträge. All das wurde in der Vergangenheit auf WikiLeaks veröffentlicht und führte zu einer mehr oder minder starken öffentlichen Diskussion. Seit 2010 häufen sich allerdings die Veröffentlichungen mit besonderer Sprengkraft: Anfang des Jahres tauchte so ein Video eines Luftangriffes auf Zivilisten durch US-Militärs in Bagdad auf. Danach kamen hintereinander geheime Dokumente zu Afghanistan- und Irakkrieg an die Öffentlichkeit, die nicht nur die offiziellen Opferzahlen dieser Konflikte widerlegten, sondern auch einen Einblick in die Situationsbewertung der Militärs bot – fernab von den durch die Politik immer wieder bestärkten Durchhalteparolen und Erfolgsmeldungen.

Mit diesen Veröffentlichungen veränderte WikiLeaks jedoch auch seine Philosophie: Statt, wie in der Vergangenheit, die Dokumente einfach online zu stellen, wurden sie vorab der New York Times, dem Guardian und dem SPIEGEL zur Verfügung gestellt, die so mit exklusiven Berichten zum Inhalt der Veröffentlichungen aufmachen konnten. Auf den ersten Blick mag dieser Schritt die Unabhängigkeit von WikiLeaks zumindest fragwürdig erscheinen lassen. Doch dieser Kompromiss scheint für die Macher von WikiLeaks notwendig, um die schiere Masse der Veröffentlichungen zu verarbeiten. So im aktuellen Depeschenfall: Allein beim SPIEGEL waren mehrere dutzend Redakteure und Dokumentare monatelang damit beschäftigt, die Viertelmillionen Dokumente  zu systematisieren, aufzuarbeiten und zu bewerten, bevor das Hamburger Blatt in der letzten Woche mit diesem Thema aufmachte. Eine Arbeitsleistung, die WikiLeaks allein wohl nicht zustande gebracht hätte. Und so ist die Zusammenarbeit mit den Nachrichtenredaktionen für die Plattform ein schlechter, wenn auch notwendiger Kompromiss.

Die Veröffentlichung von WikiLeaks sind dabei jedoch nicht ohne historische Vorbilder: Die Watergateaffäre beispielsweise wäre ohne die Veröffentlichungen von Hinweisen eines Whistleblowers nie an die Öffentlichkeit gekommen. Ob bei Banken, in Altenpflegeeinrichtungen, Forschungseinrichtungen oder Universitäten: Kaum eine Institution, die nicht dank Menschen, die sich mit ihrem Wissen um gefährliches, illegales oder missbräuchliches Verhalten an die Öffentlichkeit wandten, einen Skandal hinter sich haben. WikiLeaks fungiert dabei nun als neuer Mittler: Wer etwas weiß, wer etwas veröffentlichen will, ist nicht mehr auf einen gutgestimmten Journalisten angewiesen, der das Thema aufgreift und veröffentlicht. Er stellt es einfach ins Netz: Anonym.

WikiLeaks – Eine Gefahr für die offene Sprache

Wenn es darum geht, Missstände öffentlich zu machen, dann ist WikiLeaks natürlich keine Gefährdung der Demokratie. Wer das Gegenteil behauptet, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich ungern in die Karten schauen lassen zu wollen. Und das ist irgendwie auch okay.

Auf der anderen Seite ist WikiLeaks natürlich auch eine Gefahr: Eine Gefahr für die offene Sprache. Ob in Politik, in Wirtschaft oder Gesellschaft: Dort, wo Entscheidungen getroffen werden, dort verlässt man sich auch darauf, dass man sich in angstfreien Räumen offen austauschen kann, ohne die Gefahr, dass jeder den Inhalt der Konversation erfahren wird. Wenn nun Entscheider in der Gefahr leben, dass ihre Entscheidungen und vertraulichen Entscheidungsfindungsprozesse in die Öffentlichkeit gelangen, darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass solche Prozesse nun transparenter, die Entscheidungen ehrlicher würden. Das Gegenteil ist wahrscheinlich eher der Fall: Wenn die Angst mitschwingt, dann wird es in Zukunft noch intransparenter, jede Formulierung, egal wie vertraut und gewogen einem auch der Empfängerkreis erscheinen mag, wird mit Bedacht gewählt werden, Informationen bleiben auf der Strecke und die Schere arbeitet in Zukunft im Kopf, nicht erst in den PR-Abteilungen und Pressestatements. Schade, aber wohl nicht zu ändern.

Und solange gilt das alte Credo Julius Cäsars, wie sich derzeit an den WikiLeaks-Veröffentlichungen und die Reaktionen darauf zeigt: Die Menschen lieben den Verrat, aber hassen die Verräter.

 

Homepage von WikiLeaks (direkter Aufruf über IP)

Kategorien: Internationales, Bundespolitik, Grund- und Freiheitsrechte

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