11. October 2010 Redaktion

Stuttgart21 - Was läuft da eigentlich? Und seit wann?

Quelle: Jens Zehnder / pixelio.de

Quelle: Jens Zehnder / pixelio.de

Wir möchten uns als Redaktionsgruppe des Kreisverbands zum Thema "Stuttgart 21" nicht mit einer Pressemitteilung zu Wort melden. Doch wir halten es für wichtig, auch unsere Position zu dem umstrittenen Bauprojekt den Menschen im Kreisgebiet und unseren Mitgliedern nicht vor zu enthalten.

Das Vorgehen der Polizei und damit auch, als Verantwortliche in dieser Sache, der Stadt Stuttgart und des Innenministers Rech verurteilen wir auf´s Schärfste. Das gegen DemonstrantInnen mit Wasserwerfern vorgegangen wurde, ist nach den aktuellen Kenntnissen in keinster Weise zu rechtfertigen. Die Proteste, die Demonstrationen und der gesammelte Unmut, über den Bau- bzw. Abrissbeginn in Stuttgart kamen allerdings nicht so unerwartet, plötzlich und ungerechtfertigt, wie wir so oft in Zeitungen und Rundfunk zu hören bekommen:

Im Jahr 1994 stellten Ministerpräsident Erwin Teufel, Oberbürgermeister Manfred Rommel sowie die Verkehrsminister Matthias Wissmann und Hermann Schaufler (alle CDU) und Bahn-Chef Heinz Dürr das Bauprojekt "Stuttgart 21" vor. Bereits ein Jahr später wird eine Rahmenvereinbarung unterschrieben, die die Finanzierung des Projekts vorfestlegt.1997 gewinnt ein Architekt einen Wettbewerb für den unterirdischen Bahnhof. Schon zu diesem Zeitpunkt regte sich Protest unter den Bürgerinnen und Bürgern. Sie sahen keine Notwendigkeit für das Projekt und auch zu diesem Zeitpunkt schon die Ausstrahlung des Projekts als Bestandteil der Stadt Stuttgart als nicht 100%ig vorteilhaft. 1999 meint die Bahn, sie würde keine Möglichkeit sehen, das Projekt ad hoc zu realisieren. Entweder würde "Stuttgart 21" angegangen oder lediglich die Neubaustrecke nach Ulm. Das Land Baden-Württemberg, Stadt Stuttgart, Regionalverband und Flughafen Stuttgart bieten an, sich mit 1,3 Milliarden Mark zu beteiligen, um beide Projekte, die sie als untrennbar verbunden sehen, zu realisieren. Allerdings geht zu diesem Zeitpunkt die rot-grüne Bundesregierung bereits auf Distanz zu diesem Vorhaben.

Nachdem Mehdorn 1999 Chef der Bahn wird, bleibt es lange Jahre still um "Stuttgart 21".

Als der damalige Ministerpräsident Oettinger in 2007 anbietet, die Neubaustrecke mit 950 Millionen Euro vorzufinanzieren, nimmt die Diskussion wieder Fahrt auf und bereits im November 2007 startet eine erste Unterschriftenaktion, im Rahmen dieser sich 67.000 Bürgerinnen und Bürger gegen das Vorhaben aussprechen. Im Dezember 2007 lehnt der Stuttgarter Gemeinderat den Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids mit 45 zu 15 Stimmen ab. Im Sommer 2008 weist das Regierungspräsidium Widersprüche als unbegründet zurück. 

Die nächsten Unstimmigkeiten im Bereich der Kostenkalkulation treten auf. Die Landesregierung gibt 2008 etwa 3 Mrd. Euro weniger Kosten an, als ein Beratungsbüro errechnet hat. Dieses Spielchen ist uns hier nicht zuletzt durch den Bau des City Tunnels in der Stadt Leipzig bekannt. Der teuerste Krötentunnel in der Geschichte der Menschheit. Der Bundesrechnungshof ermittelt Mehrkosten von 2,4 Mrd. Euro. Das Verkehrsministerium weist das Gutachten als unbegründet zurück. Die Bürgerinnen und Bürger machen sich darüber ihre eigenen Gedanken und machen die Grünen 2009 mit 25,3% zur stärksten Kraft in Stuttgart. Am 2. Februar 2010 heben Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger, Verkehrsminister Peter Ramsauer, Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, Bahn-Chef Rüdiger Grube und Projektsprecher Wolfgang Drexler den "Prellbock 049" aus den Gleisen.

Der offizielle Baustart.

Am 13. August beginnen Bagger, das Dach des Hauptbahnhofs ab zu reißen. Im Vorfeld haben 20.000 Bürgerinnen und Bürger den "Stuttgarter Appell" unterzeichnet. Wieder keine positive Reaktion auf diese Proteste aus den Reihen der Bürgerinnen und Bürger (vgl. 2007). Während sieben Aktivisten auf das Bahnhofsdach klettern und Tausende den Verkehr in der Innenstadt lahm legen, betont Oberbürgermeister Schuster, er lasse sich die Stimmung "nicht vermiesen". Seit November finden regelmäßig Montagsdemonstrationen gegen das Projekt statt. Ende August 2010 bildeten Zehntausende eine Menschenkette um den Bahnhof. Am 1. September demonstrierten 1.500 Menschen vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Mappus. Der frühere Landesvorsitzende und Vordenker der SPD, Erhard Eppler, fordert am 7. September einen Baustopp und einen Volksentscheid, um den "inneren Frieden" in Stuttgart zu sichern. Einen Tag danach verlangt dies auch die baden-württembergische SPD-Spitze.

Noch einen Tag später legten die Grünen dar, dass das Projekt 3 Mrd. Euro teurer, als bisher von der Bahn veranschlagt, wird. Die Bahn selbst kalkuliert locker flockig auf unter 4,1 Mrd. Euro - in Beachtung des Limits der Landesregierung, dass bei 4,5 Mrd. Euro festgeschrieben ist. Zumindest bislang. Die Bundeskanzlerin entscheidet sich für eine strikte „JA“ zu „Stuttgart 21“.

Was bleibt den Bürgerinnen und Bürgern? Letztlich nur der Gang auf die Straße oder in den Park. Denn die nächsten Wahlen lassen noch ein wenig auf sich warten.

Sie rufen, schreien, spielen laute Musik und setzen sich in den Schlossgarten. Einige werfen, wie sich letztlich herausstellte, nicht mit Steinen sondern mit Kastanien nach der Ordnungsmacht. Rentnerinnen und Rentner, Schülerinnen und Schüler. Friedliches Protestpersonal also? Zumindest kann eine Kastanie für einen Polizisten in Vollschutz nicht die größte Gefahr für Leib und Leben darstellen. Selbst die Allergiker unter Ihnen dürften nicht unter Todesangst gelitten haben. Wir können daher nicht akzeptieren, dass mittels Pfeffersprays und Wasserwerfereinsatz in sitzende oder stehende Personengruppen geschossen wird.

Selbst der gezielte Wurf einer ungeschälten Todeskastanie auf einen gut gepanzerten Wasserwerfer rechtfertigt nicht die Antwort mit einer 10bar-Wassersäule.

Fakt ist: Die Bürgerinnen und Bürger begehren nicht erst seit einigen Wochen gegen dieses sinnlose Unterfangen auf. Wenn also in den Medien berichtet wird, dass die Leute sich hätten schon viel eher bequemen sollen, dann braucht man dies nicht unbedingt glauben.

 

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So ähnlich (PDF-Datei) sieht das übrigens auch die „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten - Hamburger Signal e.V.“. Ihr Vorsitzender, Thomas Wüppesahl ist auch in einem Interview zu hören. Das Interview finden Sie HIER.

Ausgewählte Videos:

Polizei schlägt zu

Polizist schlägt einer Frau ins Gesicht

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In der Aktuellen Stunde zu Stuttgart 21 blickte Gregor Gysi über die konkreten Auswirkungen der Auseinandersetzungen um den Bahnhof hinaus. »Die Zeit ist reif; wir müssen etwas ändern. Es geht nicht mehr an, dass Sie sich einmal, bei der Bundestagswahl, wählen lassen und die Bevölkerung dann vier Jahre lang nicht befragen. Die Zeit ist reif für Volksentscheide. Geben Sie sich einen Ruck. Wir brauchen eine attraktivere Demokratie.« Die Fraktion DIE LINKE hat die Bundesregierung im Innenausschuss nach der politischen Einschätzung zum Polizeieinsatz in Stuttgart gefragt. Diese Antwort ist sie schuldig geblieben, berichtete Jan Korte nach der Ausschusssitzung. Angela Merkel hat Stuttgart 21 zu einem ihrer zentralen verkehrspolitischen Projekte erklärt, und daher wird DIE LINKE nicht lockerlassen und dies auch im Bundestag weiter thematisieren.

Kategorien: Mitbestimmung, Grund- und Freiheitsrechte, Bundespolitik, DIE LINKE.

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