16. October 2011 Redaktion

"Sächsische Demokratie": Offener Brief an Abgeordnete von CDU und FDP

Am Sonntag, den 16.10.2011 haben wir an die Landtagsabgeordneten von CDU und FDP in unserem Kreisgebiet einen Offenen Brief geschickt, um von Ihnen zu erfahren, was diese eigentlich unter "Demokratie" verstehen. Den kompletten Wortlaut veröffentlichen wir auch an dieser Stelle, eine PDF-Datei findet Ihr, liebe LeserInnen, am unteren Ende dieses Artikels. Wir denken, dass diese Aktion nachahmenswert ist und rufen Euch auf, mit den Abgeordneten der Regierungskoalition aus Euren Regionen ebenso zu verfahren.

 



Offener Brief an die Mitglieder des Sächsischen Landtags, Anja Jonas (FDP), Hannelore Dietzschold (CDU), Oliver Fritzsche (CDU), Svend-Gunnar Kirmes (CDU) sowie Georg Ludwig von Breitenbuch


Sehr geehrte Frau Jonas, sehr geehrte Frau Dietzschold und sehr geehrte Herren Fritzsche, Kirmes und von Breitenbuch,

aktuelle Ereignisse bewegen uns, uns an Sie als Mitglieder des Sächsischen Landtags mit diesem Offenen Brief zu wenden. Wir wollen Ihnen in einem kurzen Exkurs vor Augen führen, was uns zu tiefster Sorge Anlass gibt.

Bertrand Russel hat einmal geschrieben: „Auch wenn alle einer Meinung sind, können alle Unrecht haben.“ Und so muss auch eine noch so große parlamentarische Mehrheit sich stets besinnen, inwieweit die mehrheitlich getroffene Entscheidung rechtens, also mit dem Recht vereinbar ist.

Protest und Widerstand gegen die Gefahr des erstarkenden Rechtsradikalismus und Neonazismus eint in aufrichtiger antifaschistischer Grundhaltung alle demokratischen Parteien in diesem Land. Auch die demokratischen Fraktionen des Sächsischen Landtags und ihre Mitglieder, wozu Sie hoffentlich auch unsere, DIE LINKE zu zählen gedenken. Bei allen Unterschieden in der politischen Bewertung ist dies der Grundpfeiler demokratischer und parlamentarischer Meinungs- und Willensbildung: die Wahrung der Grundrechte und der Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Die Wege, Protest und Widerstand gegen die menschenverachtende Ideologie der Rechtsradikalen und Neonazis auszudrücken, ist vielfältig. Menschenketten und Kerzen, Demonstrationen und Kundgebungen, Flugblätter und Trillerpfeiffen. Der Widerstand gegen jene, die beabsichtigen, unsere Verfassungsordnung zu beseitigen, kennt viele Gesichter.

Leider ist die Vielfalt des Protestes in Sachsen zum Streitfall geworden. Nach der veröffentlichten Meinung, in nunmehr vielen „Aktuellen Debatten“ des Landtags, Antworten der Staatsregierung auf Kleine Anfragen, Anträge und Gesetzentwürfe der demokratischen Oppositionsfraktionen des Landtags wird eines deutlich: Das, was gemeinhin als „sächsische Demokratie“ zu zweifelhaftem Ruhm gekommen ist, bestürzt nicht nur Mitglieder der demokratischen Opposition. Es ist zutiefst geeignet, das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat aufs Spiel zu setzen.

Ein Szenario, dass viele Menschen überwunden geglaubt haben, als sie 1989 mit den Füßen, ihren lauten Stimmen, ihren Tränen und Transparenten die Wende und damit die Abkehr vom diktatorischen Regime der DDR-Regierung einläuteten.
Was früher als Großdemonstration von ihren Parteifreunden unterstützt und honoriert wurde, was früher für einen Systemwechsel gesorgt hat, nämlich Tausende Menschen auf der Straße, scheint heute für Sie als Gefahr wahrgenommen zu werden. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen in bislang ungekannter Weise gegen wenige gewaltbereite Demonstrierer vor, vor allem aber gegen Tausende friedliche Demonstrierende.

„Sächsische Demokratie“ liest sich also heute wie folgt:


•    Es wurden rechtswidrig Räumlichkeiten der Partei DIE LINKE in Dresden gestürmt, es wurden hilflose Personen eingeschüchtert, festgehalten, erkennungsdienstlich behandelt. Alles, wie nun gerichtlich fest steht: rechtswidrig.

•    Es wurden Handydaten ausgespäht in einem unvorstellbaren Umfang, der demokratisch gesinnten Personen die Knie zittern lässt. Der Sächsische Datenschutzbeauftragte hat diesen Eingriff in die Privatsphäre zu Recht kritisiert und erhält dafür die Unterstützung seiner Kolleginnen und Kollegen aus dem gesamten Bundesgebiet. Doch was taten Ihre Parteifreunde? Sie haben ihn öffentlich gedemütigt – wohl bemerkt: nachdem er auch mit Ihrer Hilfe durch das Landesparlament in seine Funktion gehoben wurde. Ihre Parteifreunde haben ein Gegengutachten erstellen lassen, dass ominöser nicht sein kann zu dem Zwecke, ihn in der Öffentlichkeit vorzuführen.

•    Es werden politische MandatsträgerInnen aus mehreren Bundesländern verfolgt und kriminalisiert, weil sie gegen ein Versammlungsgesetz verstoßen haben sollen, dass vom Sächsischen Verfassungsgericht gekippt wurde und von dem der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages mittlerweile festgestellt hat, dass es als Rechtsgrundlage für Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgung nicht taugen kann.

•    Es wurde mit Ihrem Gutheissen wurde auch in Sachsen eine Extremismusklausel eingeführt bzw. verwendet, die gemeinnützigen Institutionen auferlegt, über die Gesinnung ihrer „Partner“ Zeugnis abzulegen, ihnen hinterher zu spitzeln, ob sie denn auch gut in das politisch akzeptierte Verhalten passen, dass die Staatsregierung und damit auch Sie, als Mitglieder der Koalitionsfraktionen, einzig und allein zulassen. Mittlerweile hat der Juristische Dienst des Sächsischen Landtags auch diese Klausel für, in weiten Teilen, unwirksam erklärt, weil sie in nicht akzeptablem Ausmaß in die Freiheit der einzelnen Betroffenen eingreift. In die Freiheit, in der eine Regierung nichts verloren hat, seit wir derartige Umstände vor mehr als 20 Jahren mit Recht überwunden haben.

•    Es wurde die Immunität des Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, Dr. André Hahn, aufgehoben. Mit Ihren Stimmen. Um ihn endlich dem Zugriff der Staatsanwaltschaft auszusetzen, die gegen ihn ermittelt, obwohl, wie bereits oben genannt, die Ermittlungsgrundlage dazu fehlt. Dr. Hahn hätte sich, wenn er denn überhaupt zur fraglichen Tatzeit am „Tatort“ gewesen wäre, einer Tat schuldig gemacht, die nach den Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags zu keiner Zeit unter Strafe stand, da das entsprechende Gesetz ungültig ist. Ganz im Gegenteil: Etliche Bild- und Filmaufnahmen, so auch die Medienberichterstattung u.a. in den Tagesthemen beweisen: Dr. Hahn war zu dem fraglichen Zeitpunkt in Begleitung von Ministerpräsident Tillich und etlicher Kolleginnen und Kollegen. Er stand, friedlich demonstrierend, neben ihren Parteifreundinnen und –freunden, die sich, Sie werden mir zustimmen, sicherlich genauso wenig einer Straftat schuldig gemacht haben. Auch mit Ihren Stimmen wurde also seine Immunität aufgehoben. Jenes Instrument, das Politiker u.a. vor willkürlicher Strafverfolgung, angezettelt durch die politische Konkurrenz, schützen soll. Sie ist ein ungemein wichtiges demokratisches Gut und Sie haben es untergraben.

•    Und nicht zuletzt hat die Posse um die Besetzung des Intendantenstuhls beim Mitteldeutschen Rundfunk unlängst für Schlagzeilen gesorgt, als die Regierungsparteien massive Einflussnahme auf die Wahl ihres nun mehr gescheiterten Kandidaten nahmen und damit die Freiheit der Berichterstattung und die Pressefreiheit in ihrem Sinne beeinflussen wollten.


Mittlerweile ist die Liste, die das verfassungsrechtlich bedenkliche Handeln der Staatsregierung sowie der Regierungskoalition, deren Mitglieder Sie sind, auf ein beachtlich Maß angewachsen. Sie ist beredtes Zeugnis der Unfähigkeit oder des Unwillens, Sachsen demokratisch und menschenfreundlich zu regieren. Hier gilt: Wer nicht der Meinung der Machthaber ist, ist kriminell.

Sehr geehrte Abgeordnete,

wir möchte Sie im Auftrag des Kreisverbands der Partei DIE LINKE. Westsachsen auffordern,  angesichts dieser Tatsachen zu erklären, wie Sie es persönlich als Mitglieder des Sächsischen Landtags, mit der Demokratie, mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, aber vor allem wie Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, dass unter dem Logo Ihrer Parteien und in weiten Teilen mit Ihren Stimmen im Landtag derartige Dinge geschehen konnten!

Wir möchten von Ihnen wissen, ob Sie die Demokraten sind, die sie stets lobpreisen.

Mit freundlichen Grüßen


i. A. René Jalaß
Pressesprecher DIE LINKE. Westsachsen

 



Offener Brief als PDF

Kategorien: Antifaschismus, Antirassismus, Grund- und Freiheitsrechte, Landkreis, DIE LINKE., Sachsen

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