03. May 2011 René Jalaß

Leipzig: HTWK-StudentInnen besetzten Rektorat - Gegen Diskriminierung krebskranker Rektorin

Quelle: René Jalaß

Quelle: René Jalaß

Am Morgen des 27.04.2011 besetzten StudentInnen der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) ihr Rektorat. Der Grund: Die neugewählte Rektorin, Prof. Dr. Renate Lieckfeldt soll laut Angaben des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst (SMWK), dem voran: Staatsministerin von Schorlemer, nicht ins Amt berufen werden. Aufgrund ihrer überwundenen Krebskrankheit und dem damit verbundenen Wiedererkrankungsrisiko, gebe es im SMWK "beamtenrechtliche Bedenken". Mit anderen Worten: Die gewählte Rektorin ist im Krankheitsfall zu teuer.

Nachdem sich Prof. Lieckfeldt bereits mit Rechtsmitteln in das Bewerbungsverfahren bringen musste (der Hochschulrat ließ ursprünglich nur einen Bewerber - den heutigen Ex-Rektor Milke - zu), nahm der unheimliche Vorgang mit der "Krebskeule" erst so richtig Fahrt auf. Was seit der Bewerbung Lieckfeldt bekannt war, sollte nun, 2-3 Wochen "vor der Angst" genutzt werden, um sie in letzter Minute zu verhindern. Das wäre ja noch schöner, wenn eine "von drüben" dieses Amt objektiv begleiten würde. Bei den nächsten Diskussionen über mögliche Kürzungen im Hochschulbereich wäre sie wohl unbequemer, als der CDU-nahe Ex-Rektor, der sogar Mitglied der CDU-Zukunftskommission ist.

Das SMWK konnte sich daher nicht entblöden, letztlich doch die überwundene Krebserkrankung Lieckfeldts ins Gefecht zu führen. Lieckfeldt selbst ging damit an die Öffentlichkeit. Der StuRa der HTWK hat nicht lange gefackelt und schloss sich mit öffentlichen Protestbekundungen an. Die Medien witterten einen Skandal und überschlugen sich förmlich mit Berichterstattungen. Der Druck auf das SMWK und damit auch auf die Ministerin wuchs unaufhörlich und so war es nur eine Frage der Zeit, bis diese zumindest teilweise einlenken musste. Es wurden nun die Alternative vom Anstellungsverhältnis forciert und ein Gesprächsangebot unterbreitet. Von der menschenfeindlichen und undemokratischen Diskriminierung aufgrund einer Krankheit wich man jedoch nicht ab. Selbst im Anstellungsverhältnis wäre Lieckfeldt weiter diskriminiert worden: Als einzige Rektorin im Freistaat, die aufgrund ihrer Vorerkrankung im Angestellten- und nicht im Beamtenverhältnis Dienst täte.

Beamtenrechtliche Bedenken können im Krankheitsfall verständlicherweise ein Grund für eine Nichteinstellung sein. Allerdings war der StuRa diesbezüglich anderer Meinung und ist es bis heute. Denn im vorliegenden Fall wird nicht über eine Bewerbung auf eine Laufbahn bei der Polizei oder der Feuerwehr entschieden. Das Amt der Rektorin der HTWK wird als Wahlbeamtin ausgeführt. Es ist demnach zeitlich begrenzt. Im aktuellen Fall auf 5 Jahre. Die Rektorin wurde vom sog. "Erweiterten Senat" der Hochschule, einem Gremium, dem Mitglieder aus den Gruppen der StudentInnen, der MitarbeiterInnen und der ProfessorInnen angehören, in einem demokratischen Verfahren gewählt.

Dieser Erweiterte Senat stellt auch die "Eignung" der BewerberInnen fest.

Nach diesem Verfahren hat sich die Ministerin, nach Ansicht des StuRa, lediglich als Erfüllungsgehilfin der demokratischen Wahl zu verstehen und nicht als Scharfrichterin des Versorgungsrechts. Prof. Lieckfeldt wäre demnach unverzüglich in das Amt zu bestellen gewesen.

Nachdem der StuRa dies in einer öffentlichen Mitteilung vertrat und der Ministerin über die Osterfeiertage vergeblich Zeit einräumte, zur Besinnung zu kommen, entschlossen sich mehrere StudentInnen zu einem Warnschuss in Form einer zeitlich begrenzten Besetzung des Hochschulrektorats. Diese Aktion sollte ausdrücklich keine gegen die Hochschulleitung sein - obgleich sich diese mit ihrem übermäßigen Hüllen in Schweigen selbst keinen Gefallen tat. Doch es ging den StudentInnen darum, dass auch ihnen eine funktionierende Hochschulleitung und die gewählte Rektorin zustünden. Getreu dem Motto:

"Wenn niemand unser Rektorat besetzt, tun wir´s!"

Die Besetzung dauerte von 07:00 Uhr am Mittwoch, 27. April bis 07:00 Uhr am darauf folgenden Donnerstag exakt 24h. Sie lief friedlich ab und wurde von einem breiten Aktionsprogramm und sogar einem nächtlichen Jazz-Konzert in den Rektoratsfluren umrahmt.

Die mediale Berücksichtigung dieses Protests war enorm, das Ziel der BesetzerInnen damit erreicht. Bundesweite Berichterstattung war an diesen beiden Tagen die Folge. Allein in über 50 Online-Medien wurde berichtet. Hinzu kommen die diverse Fernsehsendungen und Tageszeitungen. Noch eine Woche später berichtete u.a. das ZDF-Morgenmagazin von der Besetzung. Die sehr gute Organisation im Vorfeld und die Verschwiegenheit aller Beteiligten sorgten dafür, dass die schon mehrere Tage geplante Aktion am Morgen des 27. April eine absolute Überraschung für die Chefetage der Hochschule wurde.

Während der Aktion bekundeten verschiedene Studierendenvertretungen aus dem ganzen Freistaat ihre Solidarität. Der DGB faxte eine Soli-Erklärung und auch der Leipziger Pfarrer Christian Wolff lobte die Besetzung öffentlich. Er mahnte zudem an, dass es unverständlich sei, wieso sich aus der Hochschule heraus lediglich die Studierenden - die nur ein Teil des Erweiterten Senats ausmachen - öffentlich für die gewählte Rektorin stark machten.

Die StudentInnen forderten in einer Stellungnahme, dass sich Ministerin von Schorlemer öffentlich bei Frau Prof. Lieckfeldt zu entschuldigen und sie unverzüglich ins Amt der Rektorin zu berufen habe. Aktuell ist dies nicht geschehen, obwohl die Berufung ursprünglich zum 1. Mai geplant war. Am 3. Mai kamen die Rektorin und die Ministerin zu einem Gespräch zusammen.

Ergebnis dieses Gesprächs war es, dass Lieckfeldt nun ein noch genaueres, ärztliches Gutachten einreichen soll. Damit soll letztlich geklärt werden, dass der Ernennung Lieckfeldts zur Rektorin der HTWK keine gesundheitlichen Bedenken im Wege stehen. Oder anders ausgedrückt: Der Krebs, an dem Lieckfeldt litt, ist nach nochmaliger Prüfung vermutlich doch nicht so schlimm, wie andere Krebse - das Hickhack um die Nichternennung demnach ein Missverständnis und die Berufung nur noch eine Frage der richtigen Formulare.

Mit diesem Schritt will die Ministerin ihr Gesicht wahren und Lieckfeldt kann mit etlichen Wochen Verspätung doch noch mit Sack und Pack und Topfpflanzen in das Rektorinzimmer der HTWK einziehen.

Der Stura der HTWK gibt sich mit dem Gesprächsergebnis nicht zufrieden. Die Forderungen nach einer Entschuldigung und der unverzüglichen Berufung Lieckfeldts verhallten im Raum. In Rücksprache mit Lieckfeldt wolle man jedoch auf drastischere Aktionen verzichten, um ihr auf der Zielgeraden keine Steine in den Weg zu legen. Aus der genuinen Aufgabe der Studierendenvertretung aber, erwachsen nach Ansicht der SprecherInnen und des Hopo-Referenten selbstverständlich begleitende Maßnahmen, um weiter für das Thema zu sensibilisieren.

Fraglich bleibt hingegen, ob nicht doch andere Gründe, als die überwundene Erkrankung Lieckfeldts der Wahrheit etwas näher kämen. Die Verhinderung einer Rektorin zu Gunsten eines eingespielten, CDU-nahen Rektors wurde zumindest aus den Reihen der Studierenden als mögliches Motiv genannt. Immerhin: Der Ex-Rektor unterhält beste Beziehungen zu Ministerium und Staatssekretär.

 

Welche Verstrickungen gibt es also zwischen SMWK-Staatssekretär Henry Hasenpflug und Ex-HTWK-Rektor Hubertus Milke?

Da wäre beispielsweise die Stiftung „Sachsen. Land der Ingenieure“ der Ingenieurkammer Sachsen. In einer gemeinsamen Presseerklärung verkündeten der damalige Regierungspräsident am Regierungspräsidium Dresden, Henry Hasenpflug und die Ingenieurkammer Sachsen: „Ingenieure gehen stiften.“ Hasenpflug selbst überreichte die Gründungsurkunde. Im Stiftungskuratorium sitzt derweil Hubertus Milke, als Rektor der größten Fachhochschule Sachsens, der HTWK, mit ausgeprägtem Profil im Ingenieurbereich. Jetzt ist Milke zwar kein Rektor mehr, dafür aber Mitglied der CDU-Zukunftskommission. Diese will bis Herbst 2011 ein Grundsatzprogramm heraufbeschwören, „das in den kommenden Jahren als Grundlage für die politische Arbeit und die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen dienen wird.“ Diese Kommission beschäftigt sich auch mit dem Thema „Wissenschaft und Technologie“. Auf der Website der Kommission lässt sich dort auch ein Statement von Milke vernehmen. Zur Frage der Beibehaltung von Diplomstudiengängen lässt er in einem Kommentar wissen: „Es ist weniger der Name des Abschlusses in Deutschland, sondern vielmehr die Qualität die den hervorragenden Ruf im Ausland begründet. Der BA/MA-Zug ist abgefahren. Wir tun uns keinen Gefallen mit der Titeldiskussion. Konzentrieren wir uns auf die Qualität. Alles andere ruft auch im Ausland nur Kopfschütteln hervor.“

Milke engagiert sich in dieser Kommission offenbar sehr ausgiebig. Auch der ehemalige Staatssekretär am SMWK, Hansjörg König (Okt. 2009 – Dez. 2010) hatte ein Stelldichein für diese Kommission, als der mit Milke u.a. am 1. November 2010 um Thema „Vernetztes Wissen – kluge Wissenschaftspolitik für Sachsen" an einer Tagung teilnahm und auf dieser auch „Impulse“ setzte. Diese und andere Themen, wie z.B. die Exzellenzhochschulen, Hochschulqualität, Hochschulen als Standortvorteile oder die Innovations- und Förderpolitik im Hochschulkontext tangieren selbstverständlich auch das SMWK. Und wer ist da jetzt Staatsminister? Richtig! Henry Hasenpflug, der sich auch schon mal erdreistet, LangzeitstudentInnen als Sozialschmarotzer zu bezeichnen.

Immerhin würden sie sich durch ihren Status billigeres Essen und andere Vergünstigungen erschleichen. Seine Lösung: Studiengebühren. Offenbar ist im SMWK noch niemand wegen Unkenntnis der studentischen Realitäten der Beamtenstatus verweigert worden.

Außerdem kann es durchaus neue Erkenntnisse bringen, wenn man sich die Zusammensetzung des Hochschulrats der HTWK Leipzig einmal genauer anschaut. Dieses Gremium wurde im Zuge des Neuen Sächsischen Hochschulgesetzes geschaffen und stellt eine Art Aufsichtsrat der Hochschule dar. Laut Gesetz ist festgeschrieben, dass dieses Gremium zu zwei Dritteln aus Hochschulexternen bestehen muss. Dort sitzen unter anderem Wolfgang Topf (IHK) und Arne Kolbmüller (Präsident der Ingenieurkammer Sachsen). Beide sind über viele Jahre in den verschiedensten Zusammenhängen mit Prof. Milke bekannt. Auch Henry Hasenpflug ist lang mit Kolbmüller und Topf bekannt und befreundet. Der Clou: Drei der sieben Hochschulratsmitglieder haben Anfang des Jahres im Zuge der Wahl von Frau Prof. Lieckfeldt durch den Erweiterten Senat der Hochschule ihren Rücktritt aus dem Hochschulrat erklärt, da ihr bevorzugter Kandidat Prof. Milke nicht wieder gewählt wurde.

Angesichts dieser Tatsache liegt es nahe, eins und eins zusammenzuzählen und am Ende zu dem Schluss zu kommen, dass die aktuell angeführten Begründungen der Nichtberufung von Frau Prof. Lieckfeldt nur vorgeschoben sind.

Hier wird deutlich, dass ein gewisses planmäßiges Handeln die ChristdemokratInnen erfüllt. Und es hebt sich auch heraus, dass eine neue Rektorin „von drüben“, den rigiden Kürzungsplänen in die Suppe spucken könnte. Wenn schon nicht durch eigenes Querstellen, dann zumindest, weil sie nicht bereits (wie andere) auf Linie gebracht ist.

 

 


Parlamentaria zum Thema:


Kleine Anfragen von Holger Mann (SPD)

- "Verweigerung der Ernennung gewählter HTWK-Rektorin"

- "Verzögerungen bei der Verleihung akademischer Grade an der HTWK Leipzig durch Nicht-Berufung der Rektorin"


Kleine Anfrage von Karl-Heinz Gerstenberg (Gruene)

- "Nichtbestellung der Rektorin der HTWK Leipzig"

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René Jalaß ist Pressesprecher unseres Kreisverbands und Referent für Hochschulpolitik im StuRa der HTWK Leipzig. Er war an der Besetzung beteiligt.

Kategorien: Sachsen, Bildung, Grund- und Freiheitsrechte, Mitbestimmung

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