17. November 2010 Christin Löchner

Ein Sparpaket als Abschiedsgeschenk – das Wahlfiasko in Tschechien

Quelle: Edith Ochs / pixelio.de

Quelle: Edith Ochs / pixelio.de

Zum zweiten Mal in diesem Jahr waren die tschechischen Bürgerinnen und Bürger an die Wahlurnen gerufen, um 6200 Kommunalpolitiker sowie ein Drittel des Senats wählen. Erst im Mai entsandten die Menschen ihre Vertreter in das Abgeordnetenhaus.

Für die konservative Mitte-rechts Regierungskoalition -bestehend aus den drei Parteien ODS, TOP 09 und VV- war besonders von Interesse, ob das Ergebnis im Mai bestätigt werden würde. Ziel war es ihre Mehrheit im Senat zu behalten, um die geplanten sozialfeindlichen Reformen in der Rente aber auch im Gesundheitssystem so bald wie möglich umzusetzen.

Erst die im letzten Jahr beschlossenen Sparmaßnahmen, welche seit dem ersten Oktober in Kraft getreten sind, beinhalteten zahlreiche Erhöhungen im Bereich der Steuern sowie in den Beiträgen des Gesundheitswesens. Nun wurde dieses Jahr wieder ein 2,7 Mrd. Euro großes Sparpaket beschlossen. Dieses Dekret beinhaltet eine zehn prozentige Kürzung bei den Staatsbeamten sowie eine ganze Reihe Streichungen bei sozialen Unterstützungen.

Und währenddessen die Regierung weiter von einem ausgeglichenen Haushalt im Jahre 2016 träumt, weckten die tschechischen Bürgerinnen und Bürger diese erst mit einer 40 000-köpfigen Demonstration in Prag, nur wenige Wochen vor den Wahlen und stellten folgend eine Rekordwahlbeteiligung seit über 16 Jahren auf. Insgesamt gaben 48,5 % der Menschen ihre Stimme ab. Ein inhaltlicher und taktischer Fehler der Regierung macht das Sparpaket zum Abschiedsgeschenk.

Die rechten Bürgerdemokraten (ODS) gewannen nur in 4 von 24 Kommunen und verloren damit fast 2000 Sitze in den Kommunalparlamenten – im Jahre 2006 war diese Partei bei der Kommunalwahl klar die stärkste Kraft und erreichten damals in der konservativen Hochburg Prag mehr als 50 %. Die Partei Öffentlicher Angelegenheiten, Věci Veřejné (VV) und die rechts-konservative TOP 09 erreichten in zahlreichen Kommunen Ergebnisse unter ihren Erwartungen, hingegen letztgenannte zu mindestens in der Hauptstadt mit 30,2 % einen klaren Vorsprung erzielen konnte und somit vor der Aufgabe der Koalitionsbildung steht. Angemerkt sei bei diesem Ergebnis, dass die meisten Mitglieder der TOP 09 in Prag wohnen und die Partei dort auch mehr wahrgenommen wird als in den ländlichen Gebieten. Dennoch ist sie ein ernst zunehmender Konkurrent der ODS.

Dabei versuchten die rechten Bürgerdemokraten ODS einen weiteren Wahleinbruch, welcher sich des Weiteren noch mit mehreren Korruptionsaffären und Vetternwirtschaft begründen lässt, zu umgehen, in dem sie die Prager Wahlkreise neu ordnete. Kleine und mittlere Parteien haben dadurch de facto kaum mehr die Chance in den Magistrat einzuziehen. Besonders betroffen sind hierbei die Grünen (SZ), die deswegen den Einzug nicht schafften. Aus diesem Grund werden sie auch eine Beschwerde bei dem Obersten Verwaltungsgericht einlegen. An dieser Beschwerde werden sich darüber hinaus noch die Kommunistische Partei KSČM -die allerdings den Einzug mit 6,2 % in den Prager Stadtrat geschafft hat- beteiligen. Selbst die regierende VV überlegt sich dem anzuschließen.

Währenddessen Im Grunde also niemand im rechten Lager so genau weiß wer die Wahl nun gewonnen hat und sie sich deswegen alle ihre herben Verluste schön reden, feiern die Sozialdemokraten (ČSSD) ihre zahlreichen und unerwarteten Ergebnisse. 13 der 24 größten Städte konnten sie für sich vereinnahmen, speziell in Städten wie Brünn und Ostrava erreichten sie je über 30 %. Nach dem Abgang von Parteichef Jiří Paroubek, welcher für das schlechte Abschneiden im Mai verantwortlich gemacht wird, haben die Sozialdemokraten wieder an Attraktivität gewonnen. Sie erreichten sogar in der Stichwahl für den Senat vor drei Wochen die absolute Mehrheit und konnten sich 41 der 81 Plätze sichern, während die rechten Bürgerdemokraten es nur schafften 8 von 18 Plätzen zu verteidigen. Damit wird zukünftig ein Sozialdemokrat an der Spitze der Kammer stehen und somit die Nummer zwei in Tschechien sein. 

Die  ČSSD wird nach eigenen Aussagen versuchen die reformpolitischen Vorhaben mit einem Veto vom Senat zu stoppen. Trotz, dass eine Abstimmung im Abgeordnetenhaus dieses Veto wieder überstimmen kann, kündigte Regierungschef Necas an, die Sozialdemokraten zukünftig in die Reformdebatte einzubinden.Der ČSSD Interims-Vorsitzende Bohuslav Sobotka kündigte des Weiteren an, dass die Regierung den Einsatz tschechischer Soldaten in Afghanistan ab nun noch mal neu bewerten muss. Mit ihrer Mehrheit können sie zu mindestens die Entsendung weiterer Soldaten blocken und somit den Kritiker_innen zeigen, dass soziale Politik zeitgemäß ist.

 

Christin Löchner ist Mitglied im Kreisvorstand
Derzeit befindet sie sich in einem Freiwilligendienst der Brücke I Most – Stiftung in Prag

Kategorien: Internationales, Soziales, Finanzen

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