02. December 2011 Dietmar Bartsch / Redaktion

Dietmar Bartsch: "Die Mitglieder sollen entscheiden."

Quelle: Redaktion

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Wir dokumentieren an dieser Stelle die persönliche Erklärung von Dietmar Bartsch, für seine Kandidatur zur Wahl zum Vorsitzenden der Partei DIE LINKE.


Bei einem Mitgliederentscheid kandidiere ich für den Vorsitz der Partei DIE LINKE.  Erklärung von Dietmar Bartsch. Berlin, am 30. November 2011.


DIE LINKE braucht einen Aufbruch. Sie muss den nächsten Schritt gehen, um als sozialistische Partei in der großen Politik und im Lebensalltag dauerhaft anzukommen.

Bei allen aktuellen Problemen: Unsere 2007 gegründete Partei hat vielfach die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland durcheinander gebracht. Wichtige Debatten wie die um Mindestlöhne und Rentengerechtigkeit, um Auslandseinsätze der Bundeswehr oder die Regulierung der Finanzmärkte gäbe es ohne DIE LINKE so nicht. Dafür haben wir viel Zuspruch erfahren vor allem mit fast 12 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl 2009, bei Kommunal- und Landtagswahlen. Seither ist unser Vorankommen allerdings ins Stocken geraten. Ausgerechnet in der Finanzkrise, die immer mehr zu einer Krise von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt wird, hat DIE LINKE zwar viel zu sagen, findet aber wenig Gehör und Zustimmung. Dafür hat sich Kapitalismuskritik bis in die großen Medien ausgebreitet und andere Parteien haben viele unserer Vorschläge übernommen.

Im „Superwahljahr“ 2011 haben wir  viele unserer Wahlziele nicht erreicht. Weil zudem die Mitgliederzahl rückläufig war, ging Einfluss verloren – in den Kommunen, in den Ländern und im Bund, in Vereinen und Initiativen, in der Öffentlichkeit. Gründe dafür gibt es viele. Vor allem aus eigenen Fehlern, die wir alle gemacht haben, können wir lernen. Wir sind der Grundorientierung unseres Rostocker Parteitages nicht gefolgt, haben diesen Kurs nicht gehalten. „Für einen Politikwechsel – DIE LINKE stärken“ war unser Arbeitsprogramm überschrieben. Die nächsten Schritte zu einer stabilen und erfolgreichen Partei waren auf die Agenda gesetzt. Das haben wir nicht ernst genommen. Viel Kärrnerarbeit, die wenig medienwirksam ist,  blieb liegen. Diese hätte jedoch beim Aufbau lebendiger, zur Mitarbeit motivierender Parteistrukturen geleistet werden müssen.

Wir können das ändern, wir sollten das ändern. Das auf dem Erfurter Parteitag im Oktober 2011 beschlossene neue Parteiprogramm bietet eine Grundlage für die Zusammenarbeit in der Partei. Ich bin sicher, dass das Programm beim Mitgliederentscheid eine breite Zustimmung erfährt. Dafür werbe ich und sage zugleich: Nun wird das Programm auf seine Politikfähigkeit getestet. Wir sagen, was wir wollen. Wenn wir allerdings nicht glaubwürdig zeigen, wie wir unsere Ziele erreichen können, werden uns nur wenige auf dem Weg der Veränderung folgen. Auf solche Zeichen warten viele unserer Anhängerinnen und Anhänger seit der letzten Bundestagswahl.

Jetzt muss die politische Strategie für die nächsten Jahre entwickelt werden, auch mit Blick auf die Bundestagswahl 2013. Der Parteiaufbau muss beschleunigt werden. Es sind Personalentscheidungen zu treffen. Das Wort der Mitglieder muss erheblich mehr Gewicht erhalten und zugleich die Partei zielstrebiger geführt werden.

Ich unterstütze den Vorschlag, zur Wahl der Vorsitzenden der Partei DIE LINKE 2012 einen Mitgliederentscheid durchzuführen. In der Frage des Parteivorsitzes sollten die Mitglieder dieses Mal direkt mitreden können. Sie müssen tatsächlich die Wahl haben. Das umso mehr, als jüngst so manche Personalentscheidung in Hinterzimmern getroffen wurde und für die Genossinnen und Genossen schwer nachvollziehbar war. Wer an der Spitze der Partei steht, braucht starken Rückhalt.

Ein Mitgliederentscheid sollte jetzt auf den Weg gebracht werden. Personaldebatten, die von politischer Sacharbeit abhalten, können nicht per Beschluss beendet werden, sondern nur dadurch, dass sie mit konkreten Kandidaturen für konkrete Ämter verbunden und in überschaubarer Zeit entschieden werden. Ein Mitgliederentscheid zum Parteivorsitz bis Ostern 2012 wäre zudem damit verbunden, dass weder die heiße Phase des Landtagswahlkampfes in Schleswig-Holstein noch die Vorbereitung des Bundesparteitages im Juni von Personalfragen dominiert würden. Mit dem Votum der Mitgliedschaft hätten die – dann selbstverständlich durch den Parteitag zu wählenden – Vorsitzenden eine starke Autorität, wenn sie DIE LINKE in den erforderlichen  Aufbruch führen.

Kommt es zu einem Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz, werde ich für dieses Amt kandidieren. Ich gehe davon aus, dass auch andere Genossinnen und Genossen kandidieren werden, und freue ich mich auf einen engagierten und fairen Wettstreit.

Ich will mit einer Vorsitzenden und mit anderen gemeinsam DIE LINKE wieder auf die Erfolgsspur führen. Der Erfolg einer Partei misst sich an Wahlergebnissen, an Mitgliederzahlen und an dem, was sie für ihre Wählerinnen und Wähler und mit ihnen gemeinsam durchsetzen kann. Aus meiner Sicht kommt es in der Entwicklung unserer Partei jetzt auf drei Dinge an:

Erstens muss DIE LINKE ihren Weg klar beschreiben und konsequent gehen. „Antikapitalismus“ reicht nicht, denn gerade in unsicheren Zeiten wollen die Menschen wissen, wohin die Reise mit einer Partei geht. Und Druck auf die SPD ausüben zu wollen, damit sich die wieder an ihre alte Tugenden erinnert, das ist keine Basis für dauerhaften Erfolg. Wir brauchen mehr als eine bessere Sozialdemokratie. Will die Partei dauerhaft Erfolg haben, muss sie auch weiter eigenständige politische Positionen entlang der Interessen und Erwartungen ihrer Wählerschaft erarbeiten und vertreten. Dafür gibt es Parteien, und gute Inhalte kann auch DIE LINKE gar nicht genug haben. Dieter Klein hat dieser Tage beim „Nachdenken über eine zeitgemäße Erzählung der Linken“ dafür Anstöße gegeben und ein Viereck für ein emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt genannt:  Umverteilung von Lebenschancen und Macht; sozialökologischer Umbau; partizipative Erneuerung der Demokratie; internationale Kooperation, Solidarität und Sicherheit.  
DIE LINKE muss ihren Weg gehen. Selbstbestimmt. Zugleich muss die Partei lernfähig und in der Lage sein, anderen die Hand zu reichen, die eigenen Genossinnen und Genossen eingeschlossen. Wir wollen schließlich die Gesellschaft verändern, nicht bloß Recht behalten. Relevante positive Veränderungen der Gesellschaft bekommen wir nicht allein hin. Zur Bundestagswahl 2013 muss DIE LINKE mit ihrer Politik präsent sein – eigenständig und bündnisfähig zugleich, mittendrin statt allein gegen alle. Dabei kann und muss die soziale Vielfalt der Mitgliedschaft positiv zum Tragen kommen, unsere Drähte in die Gesellschaft können sich nicht auf Medien und Parlamente reduzieren. Wir verändern die Verhältnisse nicht in Mitgliederversammlungen, sondern mit Mitgliedern, die für DIE LINKE mitten im Leben stehen.

Zweitens bin ich dafür, dass die gesamte Partei wieder ein politisches Ziel, für das sie mit gesellschaftlichen Mehrheiten erfolgreich kämpfen kann, kampagnenmäßig in Angriff nimmt. Unsere über viele Jahre geführte Mindestlohnkampagne zeigt, wie das gehen kann. Jetzt könnte DIE LINKE die Wiedergewinnung des Öffentlichen auf die Tagesordnung setzen. Dabei geht es vor allem um öffentliches und demokratisch kontrolliertes Eigentum in der Daseinsvorsorge, in der Infrastruktur und im Finanzwesen. Es geht um ein gut ausgestattetes Gemeinwesen. Im Programm unserer Partei heißt es dazu: „Die Grundversorgung der Menschen mit lebensnotwendigen Leistungen wie Energie, Wasser und Mobilität, aber auch Wohnen, die soziale Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Kultur und Sport darf nicht kapitalistischem Profitstreben überlassen werden. Sie muss öffentlich organisiert und garantiert werden.“  Die Armut öffentlicher Kassen und wachsenden privaten Reichtum können wir uns nicht länger leisten. Damit das undemokratische Geflecht von Politik und großem Geld an Einfluss verliert, plädiere ich zudem dafür, dass sich DIE LINKE parlamentarisch und außerparlamentarisch für ein Verbot von Spenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden an Parteien einsetzt. Das sollte ebenso Großspenden von Privatpersonen betreffen. Das ist eine grundsätzliche Frage einer demokratisch verfassten Gesellschaft. Es darf nicht sein, dass politische Parteien am Tropf der Banken und Konzerne hängen oder gar von diesen erpressbar sind. Dass es auch anders geht, beweist unsere Partei seit Jahren.

Drittens werde ich mich dafür einsetzen, dass DIE LINKE eine moderne, wirksam organisierte und wirkungsvoll arbeitende Partei ist, in der die Mitglieder das Sagen haben. Ich will eine starke Mitgliederpartei. Das ist mehr als bloßes Mitmachen. Es geht um die Kreativität jedes und jeder Einzelnen. Ich plädiere für einen Ausbau der innerparteilichen Demokratie, bei der die Parteimitglieder über wichtige Fragen nicht nur per Urabstimmung entscheiden, sondern auch in die Entscheidungsfindung einbezogen sind. Das könnte – in den Grenzen des Wahlrechts – auch für Listenaufstellungen zu Wahlen gelten. Wenn, wie es im Grundgesetz heißt, Parteien der politischen Willensbildung dienen, also alles andere als Selbstzweck sind, dann muss mit einer Mitgliedschaft mehr verbunden sein als satzungsgemäße Beitragszahlung und Zeitung verteilen im Wahlkampf. Eine unabdingbare Voraussetzung für eine derart aktive Mitgliedschaft wäre es, dass allen Mitgliedern, die das wünschen, der Zugang zum Internet ermöglicht wird. So kann in der Partei miteinander kommuniziert werden.

Mir gefällt, was der italienische Linkspolitiker Nichi Vendola gesagt hat: „Die alte radikale Linke hat sich genauso überlebt wie die reformistische. Was ich will, ist eine neue postideologische, pluralistische, populäre Linke, die sich vor allem auf das Neue, auf die Jungen und ihre Sprache einlässt.“

Das könnte auch ein Leitspruch für DIE LINKE werden. Sie muss den Übergang, den nächsten Schritt von der anti-neoliberalen Sammlungsbewegung hin zu einer modernen linken Partei schaffen. Zu einer sozialistischen Partei.

Kategorien: DIE LINKE., Mitbestimmung

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