29. November 2010 Dr. Axel Troost

Das Defizit der anderen

Quelle: Segovax / pixelio.de

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Griechenland scheint vorerst gerettet, Irland schlüpft unter den Euro-Rettungsschirm. Spanien und Portugal gelten als nächste Wackelkandidaten und werben um Vertrauen, um weiteren Abwertungen ihrer Kreditwürdigkeit entgegenzutreten. Während andere Staaten im Euroraum um ihr finanzielles Überleben und gegen eine hoffnungslose Überschuldung kämpfen, mehren sich in Deutschland die Erfolgsmeldungen: Die deutsche Wirtschaft wächst wieder, stärker als erwartet. Die Exporte liegen fast wieder auf Vorkrisenniveau, die Arbeitslosenquote sinkt. Deutschland sieht sich als Musterknabe im Euroraum, kein anderes Land kann eine so starke Erholung vermelden wie die Bundesrepublik.

Offensichtlich habe man in den letzten Jahren viel richtig gemacht, konstatiert die Süddeutsche Zeitung, demzufolge also die anderen, die immer noch mit den Krisenauswirkungen zu kämpfen haben, ziemlich viel falsch. Die Empfehlung Deutschlands an die Nachbarstaaten heißt demzufolge also auch: deutscher werden.

Doch hinter den positiven Kennzahlen verbirgt sich eine andere Wahrheit, die in Deutschland bisher allenthalben zu irgendetwas zwischen Entrüstung über das Angesprochene, vielfach eher zu hämischen Kommentaren geführt hat: Deutschland, der scheinbare Musterknabe des Euroraums, ist zentraler Teil des Problems der anderen Eurostaaten.

Denn das Wachstum der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren und insbesondere vor der Krise basierte nahezu ausschließlich auf dem Außenhandel. Grund dafür ist eine spätestens seit 2000 anhaltende Niedriglohnpolitik, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ihren Anteil am gesamtwirtschaftlichen Zuwachs weitgehend verweigert. Dabei wurde der verteilungsneutrale Spielraum für Lohnsteigerungen, also die Summe aus Inflation und Wachstum, bis auf eine Ausnahme nie ausgenutzt. Dies heißt also, dass Unternehmer und Beschäftigte nicht gleichermaßen an dem teilgehabt haben, was im Verlauf eines Jahres zusätzlich erwirtschaftet worden ist, sondern die Unternehmensseite jahrelang einen größeren Anteil für sich vereinnahmen konnte.

Dies führte zwar dazu, dass die Lohnstückkosten gegenüber der Entwicklung anderer Länder nur minimal stiegen und die deutsche (Export-)Wirtschaft so einen Wettbewerbsvorteil erlangte. Es bedeutete gleichzeitig jedoch auch, dass der Zuwachs des privaten Verbrauchs und damit die Binnennachfrage geschwächt wurden und die Wirtschaft so immer abhängiger von den Exporten wurde. Durch die geschwächte Binnennachfrage blieben die Importe dabei zurück, so dass ein massiver Außenhandelsüberschuss entstand. So stiegen die Exporte zwischen 1995 und 2008 um 159 Prozent, der Import dagegen lediglich um 114 Prozent. Zwischen 2000 und 2008 stieg der Exportüberschuss um mehr als das 20-fache von 7,3 Mrd. Euro auf 166 Mrd. Euro. [1] Gleichzeitig war Deutschland wegen der geringen Lohnsteigerungen das einzige Land in der Europäischen Union, dessen Reallöhne – also die tatsächliche Kaufkraft, die bei gegebenen Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Lohn zur Verfügung steht – im selben Zeitraum effektiv gesunken ist. [2]

Wer sein gesamtwirtschaftliches Wachstum jedoch allein auf den Export aufbaut und die Binnennachfrage vernachlässigt, spielt ein gefährliches Spiel: Denn die Außenhandelsüberschüsse Deutschlands sind letztlich immer die Defizite der anderen. Deutschland hat sich zum wichtigsten Handelspartner der Staaten der Europäischen Union entwickelt: Fast zwei Drittel der Exporte Deutschlands gehen in das europäische Ausland. Durch den Außenhandelsüberschuss zieht Deutschland so Kapital aus anderen Eurostaaten ab.

Die betroffenen Eurostaaten haben auf Grund ihrer Mitgliedschaft im gemeinsamen Währungsraum gleichzeitig jedoch keine Möglichkeit mehr, durch die Abwertung der eigenen Währung die eigene Exportwirtschaft anzukurbeln und ihr Defizit auszugleichen. Die einzige verbleibende Möglichkeit dieser Staaten ist also, das abgezogene Kapital zurückzuleihen – auch und gerade von Deutschland, konkret von deutschen Banken. Dieses System kann jedoch nur funktionieren, solange diese Staaten ihre Kreditlinien auch bedienen können. Und genau das wird den Defizitstaaten nun von den Finanzmärkten nicht mehr zugetraut. Als erstes fielen Griechenland, nun Irland, demnächst vielleicht auch Spanien und Portugal dem wachsenden Misstrauen der Kreditwürdigkeit zum Opfer. Mit dem Rettungsschirm haften die deutschen Steuerzahler nun also nicht etwa für eine Verschwendungssucht von europäischen „Defizitsündern“, sondern letztlich für die Stabilität der deutschen Exportwirtschaft.

Deutschlands neuerliches „Wirtschaftswunder“ baut schon wieder auf einer starken Exportorientierung auf. Zwar wuchs im II. Quartal 2010 der Reallohn in Deutschland, Hauptgrund für das unerwartet starke gesamtwirtschaftliche Wachstum bleibt jedoch der Außenhandel, insbesondere mit asiatischen Ländern. Der Grund, warum Deutschland gut aus der Krise kommt, liegt also vor allen Dingen darin, dass andere Länder eben nicht so „deutsch“ agieren.

Um die Eurozone langfristig und nachhaltig zu stabilisieren, muss es dementsprechend darum gehen, die Ungleichheiten zwischen den Volkswirtschaften, welche seit der Einführung einer gemeinsamen Währung im Euroraum existieren und sich seitdem sogar verschärft haben, abzubauen. Deutschland muss dafür seine Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Eurostaaten abbauen und mittelfristig zu einer ausgeglichenen Außenhandelsbilanz zurückkehren. Dazu gehört vor allem, die Binnennachfrage nachhaltig zu stärken und den verteilungsneutralen Spielraum bei den Lohnzuwächsen für die Beschäftigen auch auszunutzen. Dies führt über höhere Steuer- und mehr Sozialversicherungseinnahmen auch dazu, dass mehr öffentliche Investitionen und Beschäftigungsverhältnisse finanziert werden können und gleichzeitig auch die Hartz-IV-Sätze und Renten ansteigen.

Und dies führt dann zu einem ausgeglichenen Wachstum von Binnennachfrage und Exportwirtschaft von dem nicht nur Deutschland, sondern auch die europäischen Partnerländer profitieren.

 


[1] http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2010-09/18042308-imk-deutschland-vergibt-mit-exportorientierung-wachstumschancen-015.htm

[2] Böckler-Impuls 8/2008, siehe auch: http://www.boeckler.de/pdf/impuls_2008_14_1.pdf

Kategorien: Europapolitik, Finanzen, Internationales

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