25. October 2011 René Jalaß

"Darf´s noch etwas Crack sein?" - Oder was DIE LINKE wirklich will

Der Erfurter Programmparteitag der Partei DIE LINKE ist gelaufen, das Grobkonzept für die nächsten zehn Jahre steht und noch bevor es mittels Urabstimmung mündig werden konnte, hatte es schon einen handfesten Skandal an der Backe: DIE LINKE will alle Drogen freigeben. Ein Horrorszenario? Was will uns das Programm damit eigentlich sagen?

Der Bundesparteitag hat beschlossen:

„Wir wollen eine liberale und aufgeklärte Drogenpolitik in Deutschland. Drogen sind eine Alltagserscheinung. Der Alkoholmissbrauch ist ein gesellschaftliches Problem. Die Unterscheidung in legale und illegalisierte Substanzen ist willkürlich. Der Missbrauch von Drogen kann zu schweren gesundheitlichen, sozialen und materiellen Problemen führen, die durch Kriminalisierung noch weiter verschärft werden. Wir treten daher für eine rationale und humane Drogenpolitik ein, was eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums und langfristig eine Legalisierung aller Drogen beinhaltet, das bedeutet die Entkriminalisierung der Abhängigen und die Organisierung von Hilfe und einer legalen, kontrollierten Abgabe von Drogen an diese. Im Grundsatz wollen wir eine Gesellschaft, die nicht auf Strafe und Repression gegen Drogenkonsumentinnen und –konsumenten setzt, sondern die mit Prävention und Aufklärung dem Drogenmissbrauch vorbeugt.“


In wenigen Sätzen ist nun verankert, was drogenpolitisch Konsens sein soll, wenn Linke demnächst zum Thema sprechen oder gesellschaftlich wirksam werden wollen. In wenigen Sätzen wurde also verpackt, was zeitgemäß, links und fortschrittlich sein soll. Dass nun, bedingt durch dieses Ausmaß kondensatorischer Enge, die eine oder andere Formulierung nicht glücklich gewählt ist, vermag angesichts der vielfältigen Umsetzungsmöglichkeiten keine allzu bittere Pille sein. Wir wollen demnach entkriminalisieren. Als Kriminalisierung verstehen wir die Schaffung von Normen, die ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen unter Strafe stellt. Demzufolge ist die Entkriminalisierung die Streichung oder Änderung von Regularien, die in diesem Falle den Konsum von Drogen unter Strafe stellen. Die Formulierung im Absatz ist schwammig. Der Konsum einer oder mehrerer Drogen gleichzeitig ist nicht strafbar. Er war es nicht vor dem Programm und wird es weiterhin nicht sein, davon ist auszugehen. Nach wie vor bleiben aber Erwerb, Handel, Ein- und Ausfuhr oder Besitz (mit den jeweils nach BtMG gültigen Ausnahmen) strafbar. Auch daran rüttelt das Programm nicht primär. Die Formulierung im entsprechenden Absatz, den Konsum zu entkriminalisieren deuten ich im Gesamtkontext. Die Beschaffung und der Besitz von Drogen sind Voraussetzung von Konsum – ob die Substanz nun von einer Person gekauft wird oder ich lediglich einen Joint annehme. Wer nicht zum Bäcker fährt und Brötchen kauft, wird daheim auch schlecht frühstücken können. So funktioniert es auch mit den Drogen. Es sei denn ich züchte meine Brötchen selbst.

DIE LINKE will den DealerInnen aber keine Expansionsmöglichkeiten einräumen. Ganz im Gegenteil. Sie versucht mit der Legalisierung dem Schwarzmarkt die Grundlage zu entziehen. Damit illegale Beschaffung und Vertrieb vehement geschwächt werden. Als eine gesellschaftliche Herausforderung darf die Forderung durchaus betrachtet werden, denn die Stigmatisierung, die mit dem Konsum von einigen Rauschmitteln einher geht, ist ungleich schärfer und nachhaltiger in ihrer negativen Auswirkung auf die KonsumentInnen, als ein „Schuss“ sauberen Heroins jemals sein könnte. In diesem Sinne ist die Forderung klar und die Formulierung verzeihbar, wie auch im nächsten Satz mit „Entkriminalisierung der Abhängigen“ auf eine Teilgruppe der KonsumentInnen hinreichend interpretiert.

Leider jedoch nur auf eine Teilgruppe. Denn dieser Halbsatz war vorher nicht im Beschluss vorgesehen. Im Übrigen ist, rational betrachtet, auch dieser Halbsatz extrem unscharf formuliert: Abhängige sind nicht per se kriminell. Es gibt keine rechtliche Norm gegen ein Dasein als Abhängige. Aber wie eben ausgeführt, haben diejenigen unter den DrogenkonsumentInnen herausragende Chancen auf Benachteiligung, Stigmatisierung und übelste Behandlung, die mit dem Siegel der Abhängigkeit geschmückt sind. Im Streit mit Fachleuten unterliegen wir, wenn wir den Absatz verteidigen wollen. In einem objektiven gesellschaftlichen Diskurs aber werden wir damit zumindest nicht schwächer. Immerhin ist DIE LINKE die Partei, die sich überhaupt gewichtig herantraut: Wer hat schon die „Legalisierung aller Drogen“ auf dem Richtungszeiger stehen? Die Grünen? Wie Renate Künast unlängst darstellte, sei dies eine Diskussion aus einem anderen Jahrhundert. DIE LINKE jedoch erkennt dieses Problemfeld aber weiter an. Gewissermaßen ist das ein Trostpflaster. Und wenn wir „Kriminalisierung“ nicht nur als formalen Vorgang deuten, der Normen erlässt, sondern darunter die Gesamtzusammenhänge des gesellschaftlichen Umgangs mit KonsumentInnen betrachten, kann auch ich damit gut arbeiten.

Dass DIE LINKE nun wirklich keine gefüllten Crackpfeifen in die Sonderangebotsregale stellen will, dürfte mittlerweile allen aufgegangen sein. Aber welche, nun wirklich inhaltlichen Forderungen verbergen sich hinter unserem Anliegen?


Die gesellschaftliche Ächtung von DrogenkonsumentInnen ist enorm. Wer bereits mehr Kontakt mit KonsumentInnen hatte, als es über eine Bild-Schlagzeile oder die Arbeit in einer polizeilichen Zugriffseinheit möglich ist, wird dies nachempfinden können. SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, MedizinerInnen – aber auch betroffene Eltern. Eltern, die beispielsweise in Gruppen wie z.B. dem Bundesverband verwaister Eltern, den "akzeptierenden Eltern" oder den Gedenkinitiativen zum Gedenktag für verstorbene DrogenkonsumentInnen am  21. Juli engagiert sind, wissen um die fürchterlichen Bedingungen, unter denen man als süchtiger Mensch existieren muss.

„Die Droge ist nur eine kurze Zeit mit Dir befreundet. Schon bald springt sie Dir mit Anlauf ins Genick und ist ab dann nur noch Medikament“ hört man dann nicht selten. Dieses Medikament zu besorgen ist in weiten Teilen immer noch sehr problembehaftet. Die physischen und psychischen Symptome machen ein geregeltes Arbeitsleben in vielen Fällen unmöglich. Was als Mutprobe an der Bushaltestelle beginnen kann, mündet möglicherweise in einen Gesundheitszustand, der nur noch Joghurt und Getränke als Nahrungsmittel zulässt, weil jeder Bissen unmöglich wird und weil jeder feste Bestandteil Magenkrämpfe verursachen kann.

Was weithin als Betroffenenlyrik beschimpft wird, ist Faktenlange der groß angelegten „Heroinstudie“:

“Die multizentrische randomisierte und kontrollierte Vergleichsstudie ist Kernstück eines Modellprojekts, das vom Bundesministerium für Gesundheit, vier Bundesländern und sieben Städten gemeinsam getragen und von der Bundesärztekammer begleitet wird (www.heroinstudie.de). Die Studie startete im Frühjahr 2002 und schloss in der ersten Phase 1032 Heroinabhängige, ein Fünftel davon Frauen, ein. Ein Jahr lang erhielten sie entweder Methadon zum Schlucken oder reines Heroin zum Spritzen und wurden nach zwei verschiedenen Konzepten intensiv psychosozial betreut. Im zweiten Jahr konnten die Teilnehmer der Heroingruppe ihr Mittel beibehalten und Patienten der Methadongruppe auf Heroin umsteigen.“ (pharmazeutische-zeitung.de)
    
Ergebnis: „Die Gabe von Heroin ist bei schwerst Opiatabhängigen effektiver als die Substitution mit Methadon. Die Abhängigen bleiben länger in der Therapie, ihr Gesundheitszustand wird besser und der illegale Beigebrauch geht stärker zurück. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse der deutschen Heroinstudie.“ (ebd.)

Die kontrollierte Abgabe von Substanzen mindert auch die kriminalisierte Beschaffungsproblematik.

Nicht nur, weil der Handel, also die sekundäre Beschaffungskriminalität, strafbar ist, sondern auch, weil angesichts der finanziellen Lage der KonsumentInnen die primäre Beschaffung vorwiegend nur über kriminalisierte (Prostitution) und kriminelle (Diebstahl, Raub) Handlungen möglich ist. Dies sind direkte Folgen einer repressiven Drogenpolitik und nicht der Sucht an sich. Den medizinischen Fortschritten und engagierten Fachkräften ist es zu verdanken, dass die Zahl der Drogentoten in Deutschland um die letzte Jahrhundertwende wieder zu sinken begann. 1991 war mit 2125 Opfern der Höhepunkt erreicht. Mittlerweile liegen die Opferzahlen weit darunter, was aber kein Grund zur Entwarnung sein kann (2009: 1331 Tote), zumal die Dunkelziffer unbekannt ist, da als Todesgrund lediglich die offensichtliche Wirkung des Drogenkonsums anerkannt wird. Wenn eine Person in einem Abrisshaus erfriert, weil sie infolge der Umstände, die der Konsum mit sich brachte, obdachlos wurde, ist sie ein Kälteopfer. Dass ist nicht weniger schlimm, aber kontextuell falsch.

Uns geht es aber nicht ausschließlich um die KonsumentInnen sog. „harter“ Drogen, wie Heroin. Gefahren gehen auch vom Konsum „weicher“ Drogen aus, die am Beispiel bleihaltiger Cannabisprodukte zuletzt eindrucksvoll traurige Berühmtheit erlangten. Und auch damit ist für DIE LINKE das Ende der Fahnenstange längst nicht erreicht. Jährlich feiern Millionen Menschen auf dem Oktoberfest in München. Dort werden in jeder Saison rund 60.000-70.000 Hektoliter Bier konsumiert. Das sind 6-7 Millionen Liter eines mit Zellgift versehenen Getränks. Fakt ist also: Drogen begegnen uns jeden Tag in vielfältigen Formen und niemand ist davor gefeit, sie zu probieren oder von ihnen abhängig zu werden.

Wie viele Menschen kennst Du, die ihr Feierabendbier genießen oder abends bei einem Gläschen Wein zur Ruhe kommen?

Wie viel von ihnen würden ohne weiteres darauf verzichten können oder wollen? DIE LINKE fordert daher in ihrem Programm langfristig die Legalisierung der Drogen und kurzfristig die kontrollierte Abgabe an Abhängige. Zur linken Drogenpolitik gehört auch das Verständnis um die Notwendigkeit von Aufklärung und Prävention. Zu allererst jedoch das Bewusstsein, dass Drogen auch in Bier- und Weinflaschen frei verkäuflich sind, dass Drogen auch in „Bigpacks“ von Marlboro und Pall Mall daher kommen und dass Drogen sogar in Schoko-Osterhasen stecken. Dann die Gewissheit, dass Sucht nicht nur substanzgebunden ist, sondern auch in Spielhallen, in Online-Shoppingportalen, am Arbeitsplatz oder in der Selbstbefriedigung auf uns lauert.

Wir haben doch keine Visionen, die Kinderspielplätze zu Crackhöhlen machen.

Wir wollen, dass jeder Mensch um die Folgen und Gefahren des Konsums weiß, dass jeder Mensch selbstbestimmt und aufgeklärt entscheiden kann, welchen Weg er oder sie einschlägt. Wir wollen, dass vom ersten Glas Bier und von der ersten Zigarette an allen Menschen klar ist, welches Problemfeld Drogenkonsum eröffnen kann – aber wir wollen auch, dass alle Menschen wissen, dass sie immer noch Menschen und als solche gleich wertvoll sind, auch wenn sie in die Abhängigkeit geraten.

Alles in allem wollen wir also eine Gesellschaft, die auch in Sachen Drogenkonsum nicht auf Bestrafung setzt, sondern auf Aufklärung, gesellschaftlich organisierte Hilfe und letztlich Mündigkeit der Einzelnen.

Mehr wollen wir eigentlich gar nicht.
 

Kategorien: Grund- und Freiheitsrechte, Mitbestimmung, DIE LINKE.

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