Agrosprit, eine faszinierende Idee: Statt letztlich endliches fossiles Mineralöl zu fördern, setzt man auf die Kraft aus der Pflanze. Agrosprit, landläufig auch als Bioethanol bezeichnet und in der seit 1. Januar in Deutschland eingeführten Kraftstoffsorte Super E10 in zehnprozentiger Beimischung enthalten, scheint auf den ersten Blick die Lösung des Problems der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu sein. Die Bundesregierung forciert auf Basis der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (2009/28/EG) die Steigerung des Agrospritanteils im Kraftstoff. So sieht die Richtlinie eine Steigerung des Anteils Erneuerbaren Energien auf 20 Prozent am Primärenergieverbrauch und auf 10 Prozent im Transportsektor bis 2020 vor.
Aus Ackerpflanzen wie Zuckerrüben, Raps und Mais wird im industriellen Prozess Alkohol produziert, welcher in Zukunft in immer größeren Anteilen Verbrennungsmotoren antreiben soll. Die Vorteile sind schnell umrissen: Setzt man eine einfach Rechnung an, so müsste Agrosprit klimaneutral sein. Bei der Verbrennung von Agrospirt wird der Anteil des Treibhausgases CO2 freigesetzt, den die verarbeiteten Pflanzen im Laufe ihres Wachstums aufgenommen haben. Agrosprit scheint demnach klimaneutral, durch die Beimischung in den normalen Mineralkraftstoff müsste sich – so die einfache Rechnung – der klimawirksame CO2-Ausstoß des Automobilverkehrs um die beigemischte Menge Agrospirt senken lassen. Gleichzeitig kann durch einen erhöhten Einsatz von Agrosprit aus heimischer Produktion die Abhängigkeit von den aus westlicher Sicht nicht berechenbaren Ölproduzierenden Staaten gesenkt werden.
Allein: Diese Rechnung geht nicht auf. Denn neben dem tatsächlichen CO2-Anteil der verarbeiteten Pflanze müssen daneben auch weitere Emissionen bei der Herstellung und Bereitstellung des Kraftstoffes eingepreist werden. Denn die sind, neben den auch bei Mineralkraftstoffen vorhandenen Transportemissionen, durch Saat, Düngung und Ernte ungleich größer. Die Emissionseffekte, die durch Flächenkonversion, also die Umnutzung von Flächen zur landwirtschaftlichen Produktion, sind dabei noch gar nicht beachtet.
Offiziell forcieren Europäische Union und Bundesregierung die Nutzung nachhaltig produzierter Bioethanole, beispielsweise durch Nutzung bisheriger landwirtschaftlicher Brachflächen. Doch eine Studie des Institutes of European Environemtal Policy (IEEP) legt nahe, dass es bereits zur Erfüllung des 10-Prozent-Zieles in den einzelnen Ländern der Europäischen Union gar nicht ausreichend Brachflächen gibt. Dementsprechend ist man bereits heute auf den Import von Agrarprodukten zur Bioethanolproduktionen beispielsweise aus Südamerika und Indonesien angewiesen, was das Ziel der Unabhängigkeit von Importen aus Drittländern konterkariert.
In einer eigens erlassenen EU-Verordnung schließt man zwar die Nutzung von Agrarprodukten aus nichtnachhaltiger Landwirtschaft, beispielsweise aus für die Agrospritproduktion extra gerodeten Naturflächen, aus, jedoch sind in dieser Verordnung weder soziale Standards für die Agrarproduktion noch Maßnahmen gegen sogenannte Indirekte Landnahme enthalten. Und so ist nicht nur die soziale Situation in den Großplantagen der sogenannten Dritten Welt unter jedem ertragbaren Standard, um das Ziel zu erreichen, Agrosprit auf bereits bestehenden landwirtschaftlichen Nutzflächen zu produzieren, wird die Lebensmittelproduktion auf Flächen bisher unberührter Natur verlagert. Waldrodungen, abnehmende Biodiversität in den betroffenen Gebieten, Wassermangel und zusätzliche Umweltverschmutzung durch beispielsweise Brandrodung und exzessiver Düngung sind die Folge.
Gleichzeitig tritt die Agrospritproduktion in direkte Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion. So stiegen in der sogenannten Tortillakrise 2007 und 2008 die Rohstoff- und Lebensmittelpreise so stark an, dass es in vielen Ländern Lateinamerikas zu Unruhen kam. In der Folge musste beispielsweise Mexiko Höchstpreise per Notverordnung für Lebensmittel festlegen, um eine Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen. In einer Geheimstudie für die Weltbank, deren Kernaussagen der Guardian im Juli 2008 öffentlich machte, wies ein angesehener Wirtschaftswissenschaftler nach, dass der Anteil der Nachfrage nach Rohstoffen für die Agrospirtproduktion an der Preisteuerung bei Lebensmitteln mit 75 Prozent weit höher anzusiedeln war, als man bisher angenommen hatte. Offiziell war die US-Administration bis dahin von einem Anteil von lediglich 3 Prozent ausgegangen. Greenpeace hat errechnet, dass pro Hektar durchschnittlicher landwirtschaftlicher Nutzfläche entweder der jährliche Lebensmittelbedarf von 18 Menschen befriedigt oder der Ethanoldurst eines einzigen gering motorisierten und effizienten Autos gestillt werden kann. Die Konkurrenz zwischen Lebensmittel- und Agrospirtproduktion wird in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach zu weiteren Preissteigerungen und in diesem Zusammenhang zu Lebensmittelkrisen insbesondere in der sogenannten Dritten Welt führen.
Vor diesem Hintergrund ist die soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit, deren Erreichen die Grundlage für den vermehrten Einsatz von Agrosprit bilden soll, nicht gegeben. Super E10 und Agrosprit sind ungeeignete, ja kontraproduktive Mittel, um Nachhaltige Mobilität zu gestalten. Das hat auch die Europäische Union erkannt und setzt, statt auf einer weiteren verordneten Erhöhung des Ethanolanteils in Mineralölen jetzt auf eine Verbrauchsreduzierung konventioneller Antriebe und verstärkten Ausbau alternativer Antriebsformen. Ungeachtet dessen wird die Beimischung von Ethanol nicht nur in Deutschland, sondern weltweit fort. Vor dem Hintergrund der weltweiten Ernährungskrise kippen die Industriestaaten also das Brot der Menschen in den Entwicklungsländern munter weiter in den Tank. Da wirken die geringere Energieausbeute und der Mehrverbrauch von mindestens drei Prozent, sowie die Motorenunverträglichkeit bei mindestens jedem zehnten in Deutschland zugelassenen Auto, die die heimischen Autobesitzer beim Gedanken Super E10 umtreiben, fast schon unerheblich.
Kategorien: Europapolitik, Bundespolitik, Ökologie, Wirtschaft
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